Partizipation als Merkmal professioneller Lernraumentwicklung: Teilhabe am (Hoch-)Schulumbau als emanzipative Praxis
Ausgangslage: Die Partizipation der pädagogischen Akteure bei (Hoch-)Schulbauprozessen wird von intermediären Institutionen sowie auch an Hochschulen zunehmend gefordert (Montag Stiftung, 2012; Hofmann, 2014; Schopper, 2021). Im (Um-)Bauprozess von Schulen und Hochschulen bietet sich für pädagogische Akteure die Möglichkeit, räumlich-pädagogische Kompetenzen aufzubauen und dabei auch die Lernenden miteinzubeziehen. Partizipation trägt zur Umsetzung von Inklusion durch eine demokratische Bau- und Planungskultur bei (vgl. Büker, Hüpping & Zala-Mezö, 2021), die zu einer emanzipativen Praxis von Pädagog:innen und den Lernenden im „Entwerfen von pädagogischen Räumen“ werden kann (Nugel, 2014). Es gibt Studien, die darauf hinweisen, dass die pädagogische Qualität durch eine Passung zwischen Räumen und pädagogischen Zielsetzungen verbessert werden kann (Schopper, 2021), jedoch fehlen weitestgehend empirische Untersuchungen zum Einsatz von Methoden und Konzepten der Partizipation bei pädagogischen Nutzergruppen.
Die eingebrachten Beiträge untersuchen die Partizipation als emanzipative Praxis (Nugel, 2014) für eine professionelle Lernraumentwicklung. Folgende Fragestellungen sind zentral:
- Welches emanzipatorische und transformative Potential hat der Einsatz von Spielen bei Kindern im Feld der Architektur und Stadtplanung? (Beitrag 1)
- Wie gelingt die «Stärkung der pädagogischen Stimme» im Planungsprozess eines Schulneubaus – was führt mit dazu, dass sich Schulleitende, Lehrpersonen und Schüler:innen aktiv in die Planungsprozesse einbringen? (Beitrag 2)
- Wie kann eine Hochschule die Partizipation von Studierenden bei einem Neubauvorhaben nachhaltig aufbauen? (Beitrag 3)
Forschungsfeld: Im Hintergrund des ersten Beitrags steht das Projekt “On the crossroads of architecture and education: Towards establishing SPELLab – Spatial pedagogy living lab”. Die zwei weiteren Beiträge stammen aus zwei Teilprojekten des Forschungsprojekts LEA (Learning Environment Applications – ein Erasmus+ Projekt) zu einem Hochschul- und Schulneubau im Kanton Luzern. Der Diskursraum zur professionellen Lernraumentwicklung wird somit nicht nur im deutschsprachigen Raum verortet, sondern im europäischen Kontext.
Für die Diskussion der präsentierten Beiträge werden zwei Fragerichtungen vorgeschlagen. Die erste diskutiert mögliche Arten des Begriffs Partizipation, deren Klärung zu einer Stärkung der pädagogischen Position in Beteiligungsprozessen beitragen könnte: politisch, klassifikatorisch, ethisch u.a.m. Die zweite Fragerichtung nimmt die Zielperspektive in den Blick, mit der die Partizipationsprozesse in Beziehung stehen. Zu diskutieren wäre ein Möglichkeitsraum von pädagogischen Raumlösungen und die heutigen, kulturell kontextualisierten Vorstellungen zukünftiger Bildungswelten, welche diesen Möglichkeitsraum konstituieren.
Présentation du symposium
The transformative and emancipatory potential of participatory games for children in architecture and urban planning
Abstract: Participation has great developmental potential since it represents a process of mutual learning between children and adults. The transformative potential of participation is reflected in a) distribution of power between adult and child – hierarchical vs. cooperative model of power, b) promotion of the image of the child as a competent and active partner realising his/her own interests and c) changing the traditional roles of adults and children – both children and adults are simultaneously teachers and students learning from each other. The emancipatory potential of participation is reflected in the visibility of children in public space and their empowerment to take an active role in making decisions that affect them by naming and voicing problems they identified as well as building alliances to challenge those problem (Vranješević, 2016).
In architecture and urban planning, the involvement of children is usually occurring as a part of participatory co-design, sometimes as a part of participatory post-occupancy (POE) of built spaces (Brković Dodig and Groat, 2020). An ever-growing number of academic literature is suggesting that games can be effective as such tools. However, rare are games of this kind which are simultaneously created as learning tools for children. What is more, these games have not been analysed for their transformative and emancipatory potential. The years in the making, the authors decide to revisit one such game “Spector – The Sustainability Inspector” (Brković and Chiles, 2016), and evaluate it for its emancipatory potential. The game was first developed as a participatory post-occupancy research tool for discussing sustainability aspects of schools from the primary and secondary school pupil`s point of view.
First, we have carried out content analysis of scholarly articles coming for education, psychology, architecture and urban planning in order to distil analytical categories for evaluating the emancipatory potential of the game. We analysed the game using criteria for authentic participation (Lansdown, 2001) and the ethics of participatory research (Alderson & Morrow, 2008; 2011): a) methodology of involving children in the participatory process (information, transparency, flexibility, inclusiveness, non-discrimination, cooperative model of power), b) type of acquired knowledge (democratic vs. nondemocratic knowledge), c) competencies developed through participatory process, as well as adopted values e) development of sustainable strategies for future participatory initiatives. With the help of the categories, we will carry out qualitative case study analysis of the game, critically reflecting on its transformative and emancipatory potential.
Alderson, P., & Morrow, V. (2008). Ten topics for consideration in carrying out social research with children and young people. Children’s Geographies, 6(1), 98–100.
Alderson, P., & Morrow, V. (2011). The ethics of research with children and young people: a practical handbook. London: Sage Publications Ltd.
Brković Dodig, M. and Groat, L. (eds.) (2020) Routledge Companion for Games in Architecture and Urban Planning: tools for design, teaching, and research. London/New York: Routledge
Lansdown, G. (2001). Promoting children’s participation in democratic decision-making. Florence: Innocenti Research Centar.
Vranješević, J. (2016). Transformative potential of participatory research: Deconstructing power relations between a child and an adult. Journal of the Institute for Educational research, 48(2), 231–246.
Aufbau pädagogischer Raumkompetenz als Teil pädagogischer Professionalität
Einleitung: Schulpolitische Reformen (HarmoS, Lehrplan21, Inklusion, Tagesstrukturen), die zunehmende soziale und kulturelle Heterogenität von Lerngruppen und eine damit einhergehende pädagogisch begründete Individualisierung und Flexibilisierung des Unterrichts erfordern ein verändertes Raumkonzept von Schule. Lernraumentwicklung findet im Dialog mit den Schnittstellen zwischen Architektur, Pädagogik und Verwaltung statt (Berdelmann et al., 2016). Schulneu- oder -umbauten bieten Möglichkeiten für eine pädagogische Lernraumentwicklung im Trialog zwischen der Gemeinde als Bauherrin, Akteur:innen der Schule und den Planungsbüros/ Architekt:innen. Das Anliegen, Lernraumentwicklung partizipativ zu gestalten und beratend zu unterstützen, ist jedoch anforderungsreich und steht vor der Herausforderung von «Diskurse(n) zwischen Ungleichen» (Reichenbach, 2006).
Forschungsanlage: Vorgestellt wird die Anbahnung eines solchen Trialogs beim Schulneubauprojekt einer Gemeinde nahe Luzern, in deren Schulstrategie die Schulraumplanung als wichtiger strategischer Schwerpunkt fokussiert wird: Die Schulraumplanung erhält im Zusammenhang mit einem «zeitgemässen» Unterricht Priorität. Vom Erstkontakt mit einem Gemeinderatsmitglied, über Workshops mit Schulleitungen und Lehrpersonen, einem Projekttag mit Schüler:innen bis hin zu einem einwöchigen LernRaumlabor (vgl. Hammon, 2017) wird die Entwicklungsgeschichte mit Fokus auf die Hürden und Grenzen partizipativer Prozesse im Projekt nachgezeichnet. Gestützt auf ein fünf Phasenmodell der Schul- und Lernraumentwicklung werden die jeweiligen Erwartungen in den Aushandlungs- und Entscheidungssituationen der am Trialog Beteiligten rekonstruiert. Im Fokus steht die «Stärkung der pädagogischen Stimme» im Sinne der Entwicklung einer pädagogischen Raumkompetenz bei den beteiligten Akteur:innen. Leitende Fragestellungen waren:
- Wie gelingt die «Stärkung der pädagogischen Stimme» im Planungsprozess des Schulneubaus – was führt mit dazu, dass sich Schulleitende und Lehrpersonen aktiv in die Planungsprozesse einbringen?
- Wie beurteilen Schüler*innen ihre Einflussmöglichkeiten auf die Gestaltung von Innen- und Aussenräume?
Methodologischer Ansatz: Die verdichtende Fallbeschreibung basiert auf einer Dokumentenanalyse (Schulstrategie, Wettbewerbsausschreibung) und auf reflektierende Interpretationen verschiedener Partizipationsanlässe im Planungsprozess, gestützt auf Protokolle, Bild- und Videomaterial.
Perspektiven für die Forschung: Der Aufbau pädagogischer Raumkompetenz als Teil pädagogischer Professionalität scheint bisher noch zu wenig beachtet. Durch einen Einblick in den Trialog institutionell-struktureller Prozesse und den raumbezogenen Ergebnissen sollen weitergehende Forschungsfragen und theoretische Verortungen diskutiert werden.
Berdelmann, K., Burri, L., Dinsleder, C., Nicole, J., Kirchgässner, U., Laros, A., Möhring, S., Schumacher, Ch. & Vollmer, A. (2016). Schularchitektur im Dialog. Fallstudie und Möglichkeitsräume. Bern: hep.
Hammon, Andreas (2017). »Learning in and out of the Box. Transformations-SpielRäume erkennen –gestalten –nutzen. Der Raum als Element und Instrument einer holistischen Schul- und Unterrichtsentwicklung «, in: Raum und Lernen entwickeln Josef Watschinger/Beate Weyland (Hg.) Bad Heilbrunn: Klinkhardt Verlag.
Schopper, M. (2021). Herausforderungen für den Bildungshausbau. Über die Rolle pädagogischer Vorstellungen beim Bau von Bildungshäusern. R&E-SOURCE. Online Journal for Research and Education, 16 (10). https://doi.org/10.53349/resource.2021.i16.a984
Woolner, P. & Cardellino, P. (2021). Crossing Contexts: Applying a System for Collaborative Investigation of School Space to Inform Design Decisions in Contrasting Settings. Buildings 11, 496. https://doi.org/10.3390/buildings11110496
Partizipation von Studierenden im Hochschulneubauprozess
Ausgangslage: Die Beteiligung von Nutzer:innen in der so genannten Phase Null, d.h. schon vor einem Architekturwettbewerb, wird – etwa bei Schulbauprozessen (Montag Stiftung, 2017) – im deutschsprachigen Raum zunehmend diskutiert und umgesetzt (Berdelmann et. al., 2016). Dies kann nicht in gleicher Weise für den Hochschulbau konstatiert werden; es lassen sich nur wenige Beispiele für Partizipationsprozesse der Nutzer:innen an Hochschulbauprozessen finden. Insbesondere studentische Mitwirkung wird zwar als wünschenswert erachtet, aber ist im Hochschulalltag meist schwer zu integrieren. Als Gründe für die geringe Partizipation können der lange Zeitraum von der Planung bis zur Fertigstellung, die komplexe Struktur von Entscheidungswegen sowie auch die Unterschiedlichkeit der Akteure in Bezug auf Expertise, Interessen und Betroffenheit angeführt werden (vgl. Lingg, 2016).
Fragestellung: In Anbetracht der Herausforderungen und Hürden des Einbezugs von Studierenden in der Mitwirkung bei organisatorischen und baulichen Fragen einer zukünftigen Hochschule stellt sich die Frage: Wie kann eine Hochschule die Partizipation von Studierenden bei einem Neubauvorhaben nachhaltig aufbauen? Innerhalb des Forschungs- und Entwicklungsprojektes LEA (Learning Environment Applications) wurde beim Hochschulneubauprojekt Campus Horw (Kanton Luzern) ein Partizipationskonzept mitentwickelt, Workshops und Arbeitsgruppen mit Studierenden und Mitarbeitenden durchgeführt und Szenarien des zukünftigen Lehrens und Lernens (Aussenräume/ Innenräume) entwickelt. Studierende wurden im Rahmen von Workshops mit vorbereitenden Arbeitsaufgaben, zu denen freie ECTS vergeben wurden, einbezogen.
Methodische Vorgehensweise: In zwei partizipativen Workshops zu den Aussenräumen und den Lehr- und Lernräumen im Innenbereich fand zuerst eine individuelle Klärung und Sichtbarmachung der unterschiedlichen Raumbedürfnisse statt, danach wurde ein Fokus auf die geteilten Perspektiven von Mitarbeitenden und Studierenden zu räumlichen und sozialen Aspekten der geplanten Lehr- und Lernräume gelegt. In dieser Phase wurde u. a. die MAST-Methode angewendet (Berdelmann et al, 2016), die soziale Prozesse der unterschiedlichen Nutzer:innen in räumlichen Relationierungen sichtbar und diskutierbar macht. In den methodisch geleiteten Auseinandersetzungen konnten unterschiedliche Qualitäten (z.B. Bedürfnis nach konzentriertem, ruhigem Arbeiten versus Bedürfnis nach Vernetzung und Geselligkeit) miteinander verhandelt werden.
Ergebnisse: Die gemeinsam erarbeiteten pädagogisch-räumlichen Szenarien der Studierenden und Mitarbeitenden bilden einen wichtigen Baustein auf dem partizipativen Weg eines gemeinsam verhandelten Campus Horw, der eine möglichst hohe Identifikationsbasis aufweist und eine kontinuierliche Aneignung eröffnen kann. Die Dokumentationen und Reflexionen der Studierenden auf den Beteiligungsprozesse wurden ausgewertet und dienen als Basis für weitere partizipative Verfahren.
Nutzen für die Forschung: Dass Fallbeispiel zeigt, wie Beteiligungsprozesse für zukünftige Hochschulbauten umgesetzt werden können, sodass die zukünftige Architektur von Hochschulen weniger mit den Nachteilen einer zu geringen Kommunikation und Partizipation der Nutzer:innen konfrontiert ist (Schumacher et al., 2021).
Berdelmann, K., Burri, L., Dinsleder, C., Nicole, J., Kirchgässner, U., Laros, A., Möhring, S., Schumacher, Ch. & Vollmer, A. (2016). Schularchitektur im Dialog. Fallstudie und Möglichkeitsräume. Bern: hep.
Lingg, Eva. (2016). Hochschulbauten im Spannungsfeld von Bildungspolitik und Stadtentwicklung. Wiesbaden: VS Springer. DOI: 10.1007/978-3-658-11312-4.
Montag Stiftung, Urbane Räume, & Montag Stiftung, Jugend und Gesellschaft (Hrsg.) (2017). Schulen planen und bauen 2.0. Bonn: Jovis.
Schumacher, C. (2021). CMU revisited. Perspektiven für die Neugestaltung von Lehre und Raum. Basel: Fachhochschule Nordwestschweiz.